Dieser Antrag wurde von der nicht beschlussfähigen Landesmitgliederversammlung am 18. Juli 2021 empfohlen und entsprechend der Empfehlung am 19. Juli vom Landesvorstand beschlossen.
Viele polnische Gemeinden, Landkreise oder Provinzen deklarieren seit März 2019 ihr Gebiet als „LGBT-freie Zone“ oder auch „LGBT-ideologiefreie Zone“. Den Anfang machte die Stadt Świdnik in Südostpolen, nachdem die rechtskonservative Wochenzeitung Gazeta Polska eine entsprechende Kampagne begonnen hatte. Diese Deklaration hat keine rechtliche Wirkung, sondern dient der ideologischen Polarisierung, Abgrenzung und Ausgrenzung: Nachdem die Migration für die regierende PiS-Partei als Feindbild an Wirkung verliert, wird die sogenannte „LGBT-Ideologie“ zum gefährlichen Gegner aufgebaut. Damit soll vor allem das konservativ-katholische Milieu mobilisiert werden, mit verheerenden gesellschaftlichen Folgen für queere Personen.
Eine solche Politik wird vermehrt auch in anderen europäischen Ländern, wie Ungarn, Slowenien und Tschechien, verfolgt: LSBTIAQ* wird zum Feindbild aufgebaut.
In Ungarn wurde vor kurzem ein Gesetz – nach russischem Vorbild – zur Einschränkung von Informationen über Homosexualität und Transgeschlechtlichkeit verabschiedet.
Einige der zentralen Punkte des Anti- LSBTIAQ*-Gesetzes im Überblick:
• Verbot des Zugangs zu Informationen, wenn dort „Änderungen des Geschlechts oder Homosexualität vorkommen, popularisiert oder dargestellt werden“.
• Die Vermittlung von Inhalten zur „Popularisierung“ von Homosexualität oder trans* Identitäten in der Schule ist verboten.
• Bestimmten NGOs ist es ganz verwehrt, Kurse zu sexueller Aufklärung oder Drogenprävention an Schulen zu halten.
In einem offenen Brief kritisierten Amnesty International und weitere NGOs, dass das neue Gesetz „den wissenschaftlichen Dialog und die Aufklärungsarbeit über Homo- und Transsexualität“ unmöglich machen werde. Die Regierung würde mit diesem Gesetz, „LSBTIAQ*-Jugendliche im Stich lassen“, die proportional häufiger Mobbing und Diskriminierung erleben, statt diese Jugendlichen zu schützen, wie es die Verfassung vorschreibe.
Die Zusammenführung von Homosexualität und Repräsentation von trans* Personen mit dem Vorwurf der Pädophilie reiht sich in die Ideologie, mit der die Fidesz-Partei und ihr kleinerer Koalitionspartner KDNP (Christlich-demokratische Volkspartei) seit Jahren die Rechte von sexuellen und geschlechtlichen Minderheiten einschränken, ein.
Vor gut einem Jahr schon beschloss die Fidesz-KDNP-Mehrheit im Parlament ein Gesetz, das es unmöglich macht, das Geschlecht, das bei der Geburt standesamtlich eingetragen wurde, später in offiziellen Dokumenten und Zeugnissen an die Geschlechtsidentität anzupassen.
Mit Slowenien übernimmt Janez Janša – ein „Möchtegern-Trump“, der wenig von LSBTIAQ*-Gleichbehandlung hält – den Vorsitz im Europäischen Rat. Seit Jahren kämpft Janša auch gegen LSBTIAQ*-Rechte. So setzte er sich 2015 dafür ein, dass das Ehe-Verbot für Schwule und Lesben wieder eingeführt wird – nachdem ein entsprechender Volksentscheid für die Eheöffnung Erfolg hatte. Der damalige Oppositionspolitiker Janša gehörte zu den lautstärksten Gegnern der Eheöffnung und behauptete: „Es ist nicht möglich, eine Zukunft für Slowenien mit gleichgeschlechtlichen Paaren aufzubauen.“
Der tschechische Präsident Miloš Zeman bezeichnete in einem Fernseh-Interview trans* Personen als „ekelhaft“ und kritisierte den für Anfang August geplanten CSD in Prag scharf. „Wenn man sich einer geschlechtsverändernden [sic!] Operation unterzieht, begeht man im Grunde ein Verbrechen der Selbstverletzung“, so Zeman. Außerdem sprach sich der Politiker für „Hetero-Prides“ aus: „Wenn ich etwas jünger wäre, würde ich eine große Demonstration von Heterosexuellen in Prag organisieren. Es gibt Millionen von uns.“ Der 76-Jährige zeigte auch Verständnis für das queerfeindliche „Homo-Propaganda“-Gesetz in Ungarn. Zeman erklärte, andere Länder sollten sich nicht in die inneren Angelegenheiten Ungarns einmischen.
Aber auch in Deutschland gibt es solche Kräfte, wie die AfD, die „Demo für Alle“ oder TERFs (Trans-Exclusionary Radical Feminism dt. „trans-ausschließender radikaler Feminismus“). Diese Kräfte werden immer stärker, der Rollback macht sich bemerkbar. Queerfeindliche Straftaten nehmen zu. Insgesamt wurden im Jahr 2020 782 Straftaten von Hasskriminalität gegen LSBTIAQ* registriert, darunter 154 Gewalttaten (144 Körperverletzungen). Das ist ein Anstieg von 36% gegenüber 2019. Mindestens drei schwulenfeindlich motivierte Morde sind nicht in die Statistik eingegangen. Die Dunkelziffer ist riesig.
Wir Grüne kämpfen für eine Gesellschaft, in der Lesben, Schwule, Bisexuelle, trans- und intergeschlechtliche und queere Menschen die gleichen Rechte, die gleichen Freiheiten und die gleiche Anerkennung haben. Wir fordern wirkliche rechtliche Gleichstellung und Respekt für gleichgeschlechtliche und queere Familien mit Kindern („Regenbogenfamilien“) und wollen menschenwürdige Rahmenbedingungen und Selbstbestimmung für trans- und intergeschlechtliche Menschen. Wir treiben Antidiskriminierungspolitik voran, kämpfen für einen
bundesweiten Aktionsplan gegen Homo- und Transfeindlichkeit und zeigen Regenbogenflagge – sei es in Kiew, Sarajevo, Warschau, Budapest, Prag oder Istanbul, und auch bei uns in Deutschland und Bremen.
In Bremen haben wir seit 2015 einen Landesaktionsplan gegen Queerfeindlichkeit und die Bremische Bürgerschaft hat in dieser Legislatur einen bundesweit einzigartigen Queerpolitischen Beirat gegründet, um diesen effektiver umzusetzen. Außerdem gibt es Parlamentsbeschlüsse um OPs an intergeschlechtlichen Kindern und andere medizinische Zwangsmaßnahmen wirksam zu beenden, sowie Entschädigungen zu ermöglichen. Schwule und trans* Personen sollen bei der Blutspende nicht mehr diskriminiert werden und Anfang diesen Jahres wurde ein innenpolitischer Maßnahmenkatalog gegen Hasskriminalität und Gewalt gegen queere Menschen auf den Weg gebracht.
Viele dieser und weiterer queerpolitischer Maßnahmen betreffen jedoch die Bundesgesetzgebung und müssen auf Bundesebene geregelt werden. Auch hier sind die Grünen treibende Kraff: Im Bundestag hat die Grüne Fraktion mehrere Gesetzesvorlagen zu Regenbogenfamilien und einem modernen Abstammungsrecht, zu diskriminierungsfreien Blutspenden, zum Entschädigungsfonds für inter- und transgeschlechtliche Menschen und zu einem umfangreichen Selbstbestimmungsgesetz, welches das alte zutiefst diskriminierende „Transsexuellengesetz“ ablösen sollte, vorgestellt.
Das Europaparlament hat die Europäische Union zu einer „LGBTIQ Freedom Zone“, also einem Freiheitsraum für queere Menschen, erklärt. Mit dem eindeutigen Abstimmungsergebnis stellt das Parlament sich hinter queere Menschen und deren Rechte. Sie grenzt sich damit auch von den diskriminierenden Gesetzen und Entscheidungen einzelner Mitgliedsstaaten ab und setzt ein deutliches Zeichen.
Wir haben auf Landes-, Bundes-, und Europäischer Ebene, gezeigt, dass queere Politik nur mit starken Grünen möglich ist. Ohne uns wird eine rückwärtsgewandte queerfeindliche Politik gemacht. Für die Rechte queerer Menschen ist ein Politikwechsel auf Bundesebene notwendig.
Die Landesmitgliederversammlung möge beschließen:
a) auf Europaebene
Queere Rechte sind Menschenrechte. Wir fordern das Europäische Parlament auf, sich uneingeschränkt für die Durchsetzung der Menschenrechte insbesondere in Bezug auf LSBTIAQ* einzusetzen. Aufgrund der jüngst verabschiedeten queerfeindlichen Gesetze in Ungarn und Polen, sind diese Länder besonders in den Blick zu nehmen und angemessene Maßnahmen durchzusetzen.
Die fünfte EU-Antidiskriminierungsrichtlinie muss endlich vom EU-Rat verabschiedet werden: Die EU-Kommission schlägt bereits seit 2008 diese Antidiskriminierungsrichtlinie vor: LSBTIAQ* werden in vielen europäischen Ländern weiterhin Rechte vorenthalten, die sie in Deutschland durch das Allgemeine Gleichstellungsgesetz bereits haben. Trotzdem verhindert vor allem Deutschland seit Jahren eine Verabschiedung. Deutschland muss im Ministerrat die fünfte Antidiskriminierungsrichtlinie unterstützen.
An dieser Stelle möchten wir hervorheben, dass wir die Bemühung des Landes Bremen im Bundesrat zur Verabschiedung der fünften EU-Antidiskriminierungsrichtlinie in der Vergangenheit begrüßen und hoffen, dass das Thema weiterhin durch die Bremer Landesregierung verfolgt wird.
b) auf Bundesebene
Deutschland muss seinen Widerstand im EU-Ministerrat gegen die fünfte EU-Antidiskriminierungsrichtlinie endlich aufgeben. LSBTIAQ* muss bei zukünftigen binationalen Treffen als Thema auf der Agenda stehen. Dabei sollte Deutschland als Vorbild vorangehen und in der eigenen Gesetzgebung die Diskriminierung von queeren Personen abschaffen. Das muss mit einer Reform des Abstammungsrechts und des „Transsexuellengesetzes“ (TSG) einhergehen.
Die Bundesregierung und der Bundestag sollen die Ausrufung von LSBTIAQ*-freien Zonen als Verstoß gegen die EU-Grundrechtecharta benennen und dagegen protestieren! In den betroffenen Ländern dürfen LSBTIAQ*-feindliche Initiativen und Projekte nicht unterstützt werden. Stattdessen müssen neue Förderprogramme geschaffen und bestehende Programme mit Fokus auf LSBTIAQ* für Aktivist*innen und Organisationen, deren Arbeit in ihrem Heimatland bedroht ist, erhalten und geschützt werden – nach der Strategie „Countering shrinking spaces for LGBTIAQ* Organisations“, also finanzielle Unterstützung von queeren Vereinen und Initiativen.
Deutschland soll außerdem länderübergreifende Kulturarbeit und Veranstaltungen sowie Förderungen zum Thema Akzeptanz von LSBTIAQ* (Austausch, Empowerment, Antidiskriminierung) zusammen mit Organisationen wie z.B. dem Goethe-Institut und Parteistiftungen fördern.
c) auf Landesebene
Bremen und Bremerhaven müssen ihre Städtepartnerschaften, insbesondere zu Gdańsk und Szczecin nutzen, um genau die Initiativen und Projekte zu unterstützen, die sich für ein vielfältiges und friedliches Miteinander in Polen einsetzen.
Bei zukünftigen Treffen sollen die Rechte von LSBTIAQ* Personen ein Thema sein. So können sich die offiziellen Delegationen mit queeren Personen und Initiativen in betroffenen Ländern austauschen. Mit polnischen Delegationen können LSBTIAQ*-Organisationen in Bremen und Bremerhaven besucht werden und die Entwicklung der Rechte von LSBTIAQ* in Deutschland in das Austauschprogramm einfließen.Die gemeinsame Teilnahme von Bürgermeister*innen und parlamentarischen Abgeordneten aus Bremen, Deutschland und Polen an Pride Demonstrationen (CSD) sind ebenso wirkungsvoll und ein deutliches Signal für die Akzeptanz und Gleichberechtigung von vielfältigen Lebensweisen und Identitäten. Interviews mit Medienschaffenden können diese Signale begleiten und dazu beitragen, dass sie über die Grenzen der jeweiligen Städte hinaus sichtbar werden. Darüberhinaus sollen sich Bremen und Bremerhaven in verschiedenen Netzwerken (wie z.B. Eurocities, wo auch Budapest und Warschau vertreten sind) für die Akzeptanz und Gleichberechtigung von LGBTIAQ* Personen einsetzen.
Europa ist queer. Europa ist bunt. Europa ist mitreißend. Europa ist ein Ort wo jeder Mensch gleichberechtigt und unabhänig von Geschlecht, Sexualität, Hautfarbe, Alter, Aussehen, Herkunft, Behinderung, Lebensform oder Religion frei und sicher leben können soll. Dafür stehen wir Grüne
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